Colin hat mich im Verlauf des Turniers mal gefragt, ob ich den Austragungsort hier gut finde. Und ich finde ihn ausgezeichnet, ich würde sagen, locker in den Top 3 von ziemlich vielen Orten, die ich schon gesehen habe. Die Frage hat mich dazu veranlasst, mal Revue passieren zu lassen, wo ich in den letzten 26 Jahren überall dabei war und was mir davon in Erinnerung geblieben ist...
1996: Jugend-EM in Mureck, Österreich: Ein Bahnhof ohne Stromleitungen, weil da nur Dieselzüge verkehrten. Eine sehr herzige Pension, in der nur die Schweizer Delegation untergebracht war, und die für uns sehr lecker gekocht hat, aber beinahe dran verzweifelt ist, dass Severin jeden Tag zweimal ausschliesslich Pizza Margherita essen wollte. Und eine Partie von Florian, die wegen Einmischung des gegnerischen Delegationsleitung zu seinen Ungunsten entschieden wurde.
1998-2001: Jugend-WM in Oropesa del Mar, Spanien: Ich glaube, ich war drei von vier Mal dabei... Jedenfalls war das die Zeit, in der wir am freien Tag jeweils ein Fussball-Gedichtschreib-Karaoke-Einsetzschach-und-ich-weiss-nicht-mehr-was-sonst-noch-Turnier veranstaltet haben, zusammen mit Vertretern aus der deutschen Delegation. Und es war die Zeit, in der Monika mal eine Handyrechnung von mehreren hundert Franken verursacht hat, weil sie nicht wusste, dass Roaming unendlich teuer ist... Und ich mit ihr zusammen alle Hauptstädte der Welt auswendig gelernt habe, weil sie noch in der Probezeit am Gymi war und unmittelbar nach dem Turnier eine Prüfung darüber hatte. Meine Lieblingshauptstädte: Ouagadougou und Antananarivo.
2003: Jugend-EM in Budva, Montenegro: Unterkunft in einem Ferienresort mit Bungalows. Die Saison war noch nicht vorbei, dementsprechend wenig haben sich die Touristen dafür interessiert, dass da Schachspieler nachts schlafen möchten. Nachdem wir darauf bestanden hatten, Bungalows in einer ruhigeren Ecke des Feriendorfs zu erhalten, war die Lärmbelastung zwar tiefer. Dafür hatten wir gefühlt 1000 Mücken im Zimmer, deren Opfer Monika war. Wir zählten allein im Gesicht über 20 Mückenstiche. Am Ruhetag mit Magnus Carlsen Fussball gespielt.
2008: Jugend-EM in Herceg Novi, Montenegro:
Achtung die Kurve! Nachtruhe hat unsere Junioren nur am Rand interessiert. Also, eigentlich gar nicht. Lieber zockten sie nächtelang. Die Unterkunft: knapp an der Katastophe vorbei, andere Delegationen teilten das Zimmer mit allerlei Getier, unter anderem Ratten... Und der Bus vom Hotel zum Turniersaal ist bisweilen auch mal mit offenen Türen gefahren. Oli und ich hatten das gleiche 80er-Jahre-Kuoni-Tüechli dabei. Noël feierte während des Turniers seinen 12. Geburtstag.
2009: Jugend-EM in Fermo, Italien:
Sympathische Unterkunft auf dem Camping-Platz. Der Transfer mit dem Bus hat gaaar nicht geklappt. Am ersten Tag hatten die Organisatoren zuwenig Kapazität, haben uns zu spät zum Turniersaal gebracht und die Turnierleitung wollte unsere Partien als forfait verloren geben. Das haben sie dann natürlich doch nicht gemacht, war ja nicht unsere Schuld, aber von da an haben wir den Transport mit dem Auto organisiert, wir waren nämlich mit drei Autos angereist.
2010: Jugend-WM in Halkidiki, Griechenland:
Wartezeit für den Transfer vom Flughafen zum Hotel: Gefühlt 4 Stunden, vielleicht waren es auch nicht ganz so viele. Aber sicher mehr als 2. Sehr gutes Essen, guter Turniersaal, nette Poolanlage. Hotelküche völlig unbeeindruckt von zweistündigen Stromausfall im Hotel. Übermütige Teilnehmer. Zeitumstellung auf Winterzeit auf der Heimreise am Flughafen verbracht, natürlich ohne Schlaf.
2011: Jugend-WM in Albena, Bulgarien:
Tolles Wetter, das Schwarze Meer fantastisch. Ausgelassene Party am Abend vor dem freien Tag. Essen solide. Deep Talk mit anderen Coaches. Irgendwie keine besonderen Vorkommnisse.
2012: Jugend-WM in Maribor, Slowenien: Angereist mit Mannschaftsbus. Das Hotel eher “meh” und mit 20min Transfer zum Spiellokal. Dafür hatten wir neben dem Spielsaal ein eigenes Analyselokal in Form einer ganzen Après-Skihütte, welche wir uns mit der holländischen Delegation und ein paar Spielern des SK Hamburg teilten. Am Morgen absolvierte ich jeweils den FIDE-Arbiter-Kurs. Das Turnier in einem Wort zusammengefasst: Anstrengend!
2013: Jugend-EM in Budva, Montenegro:
Puh, man weiss gar nicht, wo anfangen. Die Mücken, die uns 10 Jahre zuvor geplagt hatten, waren weg, und die Saison war auch vorbei, somit war es recht ruhig. Ich erinnere mich aber an ein “verdrehtes Knie” von Fabian, welches zum Glück nur leicht geprellt war. An eine Zimmerrochade zu Beginn des Turniers, weil eine Zimmerkombination unter einem eher schlechten Stern stand. An einen Überraschungsbesuch eines Elternteils. An eine Mama, die stundenlang bei jedem Wetter auf dem Pausenplatz vor dem Schulhaus stand, in welchem ihr Kind spielte. An super Gespräche mit mitgereisten Eltern und Coaches. An einen Teilnehmer, der 5 Minuten vor Heimreise-Termin unauffindbar war. Insgesamt: Viel Action, aber trotzdem toll.
2014: Jugend-EM in Batumi, Georgien:
Die Anreise mit dem Flugzeug nach Trabzon und anschliessendem Bustransfer nach Georgien in einem Wort zusammengefasst: Katastrophe! Fasst meinen Eindruck über das ganze Turnier zusammen. Das Essen: So schrecklich, dass wir nach einmaligem Begutachten im Loft-Restaurant des Hotels auf eigene Rechnung assen. Am Meer sein aber nicht baden können finde ich sowieso doof. Highlights? Die Pool-Etage des Hotels war ganz nett.
2015: Jugend-WM in Halkidiki, Griechenland: Transfer lief diesmal ausgezeichnet. Teilnehmer fanden den Aufdruck auf dem SSB-T-Shirt (“Switzerland Chess Talents”) cringe. Mich mit einer mitreisenden Mama auf einem Spaziergang im Wald verlaufen. Hatten Angst, von wilden Hunden gejagt zu werden, haben es aber unbeschadet zurück in die Zivilisation geschafft. Basketball gespielt mit Eltern und Coaches.
2016: Jugend-EM in Prag, Tschech. Republik:
Riiiiesige Hotelanlage. Hotelpersonal hat unseren Coach aus der Bar geworfen, weil er dort sein Schachbrett zur Analyse aufgebaut hatte. Sehr vergnügliche Analyse. Unfall beim Fussballspiel, welcher eine Statue im Hotelgarten den Kopf kostete. Kaum etwas von Prag gesehen.
2017: Jugend-EM in Mamaia, Rumänien:
Abenteuerlicher Transfer vom Flughafen zum Hotel. Oder zumindest zurück; der Fahrer ist beinahe eingeschlafen. Zimmernachbarin hat im Schwarzen Meer Tintenfische gefangen. Verwendungszweck: Unbekannt. Gigantische Hotelanlage. Tolle Turnier-WG. Spiel des Turniers: Codenames.
2018: Jugend-WM in Halkidiki, Griechenland:
Immer noch am gleichen Ort wie 2010 und 2015. Immer noch super. Werwölfe. Sehr viele Werwölfe.
2019: Jugend-EM in Bratislava, Slowakei: Tolle Stadt, tolle Coaches, tolle Teilnehmer, tolle Poolanlage. Schreckliches Essen. Theos Geburtstag. Angenehme Distanz vom Hotel zum Spielsaal.
2022: Jugend-WM in Mamaia, Rumänien: Anderes Hotel. Das letzte war besser. Keine Tintenfische jagende Nachbarin mehr. Auch kein Codenames mehr. Ehrlich gesagt, weiss ich gar nicht mehr, wie wir da jeweils den Abend verbracht haben. Ah, doch! Hoppelpoppel! Dorians Gepäck war am Ankunftstag nicht auf dem Gepäckband. Es wurde am zweitletzten Tag angeliefert…
2023: Jugend-EM in Mamaia, Rumänien: Tolle Delegation, sehr sehr viele Werwölfe. Wieder im gleichen Hotelkomplex wie 2017. Täglich schwimmen im Pool. Gutes Essen.
2024: Jugend-WM in Florianopolis, Brasilien:
Wenn man will, kann man jammern, aber es wäre immer auf hohem Niveau. Hotel sauber, alle Menschen hier sind super freundlich, das Essen ist solide, der Flughafentransfer auf der Hinreise war reibungslos.
Und wo war’s jetzt nach 20 Teilnahmen am besten? Meine persönliche Rangliste:
Halkidiki. Immer wieder!
Florianopolis.
Bratislava.
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